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Gasmangel: Halbleiterproduktion droht ein dreijähriger Produktionsstopp

Seit nunmehr fast fünf Monaten führt Russland einen brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Dieser bringt nicht nur jede Menge menschliches Leid hervor. Auch die wirtschaftlichen Auswirkungen dürften auf lange Sicht schwerwiegend sein. Insbesondere die große Unsicherheit der russischen Gaslieferungen sorgt dafür, dass sich die Industrie schon jetzt vor zugedrehten Gashähnen fürchtet. Nun stellt sich die Frage, ob womöglich auch die ohnehin angeschlagene Branche der Halbleiterproduktion unter dem drohenden Gasmangel leidet. Wie sich herausstellt, lässt sich diese Frage gar nicht so leicht beantworten, weil schlichtweg Informationen fehlen.

Bei Gasmangel keine Halbleiter

Kriege werden im Jahre 2022 vor allem mit Embargos und Wirtschaftssanktionen geführt. Dies fördert der Ukrainekrieg so deutlich zutage wie kein anderer zuvor. Doch die umfangreichen Sanktionen, welche die EU und USA aus Solidarität zur Ukraine gegen Russland verhängen, schwächen nicht nur die russische Wirtschaft. Seit geraumer Zeit machen Inflation und steigende Energiekosten deutlich, dass auch wir die Auswirkungen zu spüren bekommen. Im Fokus steht dabei seit einigen Wochen die Sicherheit der Gaslieferungen, die Deutschland aus Russland erhält. Während ein Heizverbot für Privatwohnungen und wichtige Einrichtungen wie Krankenhäuser derzeit unmöglich erscheint, spricht die Politik offen darüber, dass man womöglich Einschränkungen bei der Industrie vornehmen müsse.

Davor fürchtet sich mittlerweile auch so gut wie jede Branche. Insbesondere den Betreibern von Chipfabriken scheinen nun wohl ebenfalls die Knie zu schlottern. Schließlich ist die Halbleiterfertigung bekanntermaßen seit Beginn der Corona-Pandemie extrem angeschlagen. Auch europäische Vorhaben wie der EU Chips Act, welcher Intel zum Bau einer Chipfabrik in Magdeburg bewogen hat, wird das Problem auf kurze Sicht nicht lösen. Nun meldet sich das Unternehmen Globalfoundries, welches in Dresden Halbleiter fertigt, zu Wort und zeichnet ein düsteres Bild für die Zukunft. So sagt Yvonne Keil, Leiterin für die Beschaffung, dass man in der Fabrik innerhalb der nächsten drei Jahre keine Wafer fertigen könne, wenn der Gashahn zugedreht wird. Beunruhigt von dieser Aussage haben sich die Kollegen von Golem.de auf Suche nach anderen Unternehmen begeben, um mögliche Auswirkungen der Gaskrise zu eruieren.

Gasmangel ist Supergau für nahezu jede Branche

Golem.de hat im Rahmen seiner Recherche verschiedene deutsche Halbleiterproduzenten kontaktiert. Dazu gehört nicht nur Bosch, was erst kürzlich bekanntgegeben hat, eine Milliardensumme in die Halbleiterproduktion zu stecken. Auch mit X-Fab, Infenion, Intel und eben Globalfoundries (GF) standen die Kollegen in Kontakt. Herausgekommen sind dabei spannende Informationen, die einem zumindest kurze Einblicke hinter die Kulisse der derzeitigen Lage von Halbleiterproduzenten werfen lassen. Dabei zeigte sich wohl vor allem Bosch überaus redselig. So gab das Unternehmen gegenüber Golem.de an, dass man derzeit versuche, umfangreiche Energiesparpläne zu entwickeln. Seinen Energiebedarf deckt Bosch derzeit zu einem Fünftel mit Erdgas ab. Sparpotential sieht das Traditionsunternehmen unter anderem in einem Wechsel der Heiztechnik. Bei X-Fab scheint die Abhängigkeit vom Erdgas von dem jeweiligen Standort abzuhängen.

So gab Ute Steinbrecher, Pressesprecherin des Unternehmens, gegenüber Golem.de an, dass die Fabrik in Erfurt lediglich mit Erdgas heizt. In Dresden wiederum setzt man obendrein bei wichtigen weiteren Dingen wie der Reinigung der Abgase auf Gas. Natürlich darf man beim drohenden Gasmangel nicht nur die Sicherheit des Heizens im Hinterkopf behalten. Viele Kommunen setzen auch bei ihrer Stromversorgung auf Energie, welche aus mit Erdgas betriebenen Kraftwerken stammt. Allerdings reagieren die Kommunen und ihre Energieversorger bereits jetzt, um für mehr Unabhängigkeit zu sorgen. Statistiken des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft belegen, dass bereits jetzt vielerorts die Stromproduktion umgestellt wurde, um vom Gas als Energiequelle möglichst wegzukommen.

Die Angst vor den Anlegern

Während sich Bosch und X-Fab überaus auskunftsfreudig bezüglich ihres Gasverbrauchs gegenüber Golem.de zeigten, waren andere Unternehmen eher zurückhaltend. Wirkliche Zahlen konnten die Kollegen bei ihnen nicht herauskitzeln. Dies lässt sich wohl unter anderem auf die Angst vor Retourkutschen seitens der Anleger zurückführen. Schließlich erfahren Produzenten von Halbleitern angesichts des gegenwärtigen Mangels einen spürbaren Boom. Sollte sich nun herausstellen, dass in Anbetracht vom Gasmangel lediglich mit angezogener Handbremse oder gar nicht produziert werden kann, dürfte dies ganz bestimmt für einen spürbaren Dämpfer sorgen.

Als besonders erstaunlich empfand Golem.de übrigens die Antwort von Karin Raths, Pressesprecherin von Globalfoundries. Diese gab gegenüber der Webseite für IT-News lediglich an, dass man für den Ernstfall gewappnet sei und keine Einschränkungen bei der Herstellung zu befürchten sind. Dies verwundert vor allem angesichts früherer Aussagen von GF doch sehr. Schließlich kündigte das Unternehmen zwar im Dezember 2021 eine Umstellung der Energieversorgung an, diese basiert aber nach wie vor hauptsächlich auf Gas als Energieträger. Ein Gasmangel würde also auch hier schwere Auswirkungen haben. Nach der Anfrage von Golem.de verschwand diese Pressemitteilung dann auf ominöse Weise.

Mangel an Energie-Alternativen führte in die Sackgasse

Es ist wirklich schwer, den Unternehmen nun den Vorwurf zu machen, dass sie erst gar nicht auf Erdgas als Energieträger hätten setzen sollen. Schließlich ist man im Nachhinein immer schlauer als vorher. Obendrein liegt es bei solch großen Fabriken häufig auch gar nicht in den Händen der Unternehmen, welche Energieressourcen sie nun verwenden könnten. Der Konkurrenzdruck und behördliche Grenzen geben in diesem Bereich die Richtung vor und können nicht ignoriert werden. Möglicherweise ändert sich dies nun auf schmerzhafte Art und Weise. Doch es kommt auf das Ergebnis an, welches hoffentlich in naher Zukunft erreicht wird. Bis dahin können die Unternehmen eigentlich nur ein paar wichtige Verhaltensregeln beachten, die zum Teil auch für Privathaushalte gelten. Zum einen ist Ziel Nummer Eins, den Verbrauch zu drosseln. Hierfür sind Einsparungen vonnöten wie sie Bosch plant. Insbesondere das Heizen der Räumlichkeiten muss man dabei in den Fokus nehmen.

Natürlich kann man obendrein überlegen, ob wegen Gasmangel zu anderen Energieträgern wechselt. Allerdings ist dies nicht so schnell möglich, wie bei einem Privathaushalt. Während ein Einfamilienhaus mit ein paar wenigen Schritten mittels einer Kombination aus Wärmepumpe und Photovoltaikanlage nahezu vollkommen vom Gas unabhängig werden kann, sieht das in der Industrie derzeit noch anders aus. Natürlich könnten nun alle Fabriken ihre Dächer mit Solarpaneelen ausstatten. Da diese allerdings derzeit gefragter denn je sind, wird man sie nicht in rauen Mengen erhalten können. Selbiges gilt für Wärmepumpentechnik. Wobei in diesem Fall nicht nur die Wärmepumpen selbst Mangelware sind. Auch Fachleute fehlen, die selbige einbauen können. Folglich ist es vielen Unternehmen schlichtweg nicht möglich, von jetzt auf gleich ihre Energieversorgung umzustellen.

Verpasste Chancen für die Energiewende

Schlussendlich muss man festhalten, dass ein früherer Paradigmenwechsel hin zu Gasalternativen für mehr Unabhängigkeit von Russland und damit auch für ein geringeres Risiko für Gasmangel gesorgt hätte. Insbesondere im Bereich der erneuerbaren Energien hätte die Politik in den letzten Jahren viel mehr Anreize schaffen müssen. Dass sie bei der Energiewende noch immer mit angezogener Handbremse fahren, macht zum Beispiel der Mangel an Ladesäulen trotz rasant steigender Zulassungszahlen von Elektroautos deutlich. Hierfür hätte nicht nur mehr Unabhängigkeit von Energielieferanten, sondern auch der immer weiter fortschreitende Klimawandel Grund genug sein müssen.

Folglich ist es nun an der Politik, endlich mehr Anreize für erneuerbare Energien zu schaffen und nicht nur Privathaushalte, sondern vor allem auch die Industrie als großen Emittenten von CO²-Gasen umweltfreundlicher zu gestalten. Und auch jetzt wird wieder deutlich, dass offenbar immer erst Unheil drohen muss, damit auch politische Entscheidungen von Tragweite gefällt werden. So war es die Nuklearkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011, welche die damalige Kanzlerin Angela Merkel erst zur Stilllegung der nationalen Atomkraftwerke bewegt hat. Der Ukrainekrieg könnte nun zum Pendant im Bereich vom Erdgas werden.

Folgen können schwerwiegend sein

Im schlimmsten Fall droht den betroffenen Halbleiterwerken ein Stillstand. Was das bedeuten würde, steht fest. Stehen die Bänder still, rollen auch keine Halbleiter von selbigen – und das für drei Jahre. Grund hierfür sind die herausfordernden Reinräume. Diese verfügen über ausgeklügelte Filteranlagen, welche allerdings auch als wahre Energiefresser gelten. Stehen die Anlagen einmal still, soll es drei Jahre dauern, bis man die Luft der Räumlichkeiten wieder für die Halbleiterherstellung gereinigt hat. Sollte es soweit kommen, ist noch lange kein Ende der Halbleiterproblematik in Sicht und die Abhängigkeit von der chinesischen Herstellung wächst und gedeiht prächtig.

Jens Scharfenberg

Gaming und Technik waren stets meine Leidenschaft. Dies hat sich bis heute nicht geändert. Als passionierter "Konsolero" und kleiner "Technik-Geek" begleiten mich diese Themen tagtäglich.

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