Um seinem eigenen Volk Sinn und Zweck des zweifelsohne sinnlosen Angriffskrieges auf die Ukraine zu verkaufen, setzt Präsident Wladimir Putin vor allem auf eines: Propaganda. Nachdem bereits soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter gesperrt wurden, waren unabhängige Medienhäuser an der Reihe. Nun wird es offensichtlich bald auch Wikipedia erwischen. Ein Zugang zu der beliebten Online-Enzyklopädie scheint dem russischen Machthaber offenbar auch nicht zu gefallen.
Krieg statt „militärischer Spezialoperation“
Der gegenwärtig herrschende Ukraine-Krieg entwickelt sich zunehmend zu einer humanitären Katastrophe ungeahnten Ausmaßes. Obwohl sich nahezu alle Staaten der Welt darüber einig sind, dass es sich hierbei um einen brutalen und skrupellosen Angriffskrieg handelt, darf man in Russland offiziell noch immer nur von einer „militärischen Spezialoperation“ sprechen. Dies gilt für Medienanstalten genauso wie für Privatpersonen und eben auch Webseitenbetreiber. Bei Zuwiderhandlung drohen neben einer Sperre auch extrem hohe Geldstrafen. Nun scheint Wikipedia mit eben dieser Vorschrift in Konflikt zu geraten. Auf deren Seite nutzt man nämlich nicht das von der russischen Führung vorgesehene Vokabular, sondern spiegelt die Wahrheit wieder. Der russischen Regulierungsbehörde für Medien „Roskomnadsor“ gefällt das natürlich gar nicht. Nun droht sie Wikipedia mit einer Sperre. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter der Online-Enzyklopädie zeigen sich bislang aber kämpferisch.
Das Internet ist eine mächtige Waffe
Wie kaum ein anderer Krieg zuvor, macht der Ukraine-Krieg deutlich, welche Tragweite Medien im Allgemeinen und Internet im Besonderen in unserer digitalisierten Welt haben. Russland macht dies derzeit deutlicher denn je. Sicherlich konnte das Land nie als Vorbild für freie Meinungsäußerung herhalten. Anders als beispielsweise in China, hatten die Russen allerdings weitgehend Zugang zu dem „westlichen“ Internet. Dazu gehörten natürlich auch Facebook, Instagram, Twitter und Co. Um die damit einhergehenden Risiken wie wachsenden zivilen Ungehorsam einzudämmen, hat Russland nun aber einen waschechten Informationskrieg gestartet. Dabei werden unabhängige Medien verboten und soziale Netzwerke im Internet blockiert. Stattdessen verbreitet man innerhalb der Bevölkerung Ammenmärchen, die über das Staatsfernsehen ausgestrahlt werden. Wie lange Putin sein russisches Volk auf diesem Wege noch die rosarote Brillen vorhalten kann, ist mehr als fraglich. Zwar finden bereits erste größere Anti-Kriegs-Proteste mutiger Russen statt, diese werden aber brutal niedergeschlagen.
Neutralität ist das A und O für Wikipedia-Autoren
Je weniger die Einwohner Russlands über das gegenwärtige Leid in der Ukraine erfahren, umso besser sieht es für Putin aus. Schließlich kann er seine Bevölkerung auf diesem Wege noch auf Linie halten. Da sich die Online-Enzyklopädie Wikipedia als ein unabhängiges Medium versteht, haben die Autoren natürlich auch über den gegenwärtigen Ukraine-Krieg geschrieben. Dabei wächst das Interesse der Russen an dem dazugehörigen Artikel Tag für Tag. Da die russische Propaganda hier nicht ihre Finger im Spiel hatte, ist dies nämlich eine der wenigen Möglichkeiten für Russen, einen neutralen Betrachtungswinkel einnehmen zu können. Inzwischen zählt der Artikel über 3 Millionen Aufrufe. Den Wikipedia-Autoren würde es schlichtweg widerstreben, nicht die Wahrheit zu schreiben. Schließlich sind sie seitens Wikipedia dazu verpflichtet, aus einer neutralen Sicht zu schreiben.
Dabei nehmen sie bereits bei der Überschrift kein Blatt vor den Mund. Hier wird nämlich von einer Invasion und nicht von einer Spezialoperation gesprochen. Weiterhin wird dementiert, dass die Ukraine von Nazis beherrscht werde, wie Wladimir Putin es in einer Rede an das russische Volk sagte. Doch zu Neutralität sehen sich die Autoren in Richtung beider Seiten verpflichtet. So ist insbesondere bei den Zahlen der gefallenen Soldaten jeweils die Rede davon, dass es sich hierbei um widersprüchliche Aussagen handle. Die Diskrepanz zwischen der Ukraine und Russland ist nämlich extrem. Es ist gerade die Zahl der ums Leben gekommenen Soldaten, die der russischen Justiz nun ein Dorn im Auge zu sein scheinen. Diese sei im Artikel viel zu hoch beziffert, was einen Verstoß gegen das russische Gesetz darstellt. Moniert wird außerdem die wahrheitsgemäße Angabe über getötete ukrainische Zivilisten. Diese soll es laut Russland nicht geben.
Wikipedia will sich nicht einschüchtern lassen
Sollte die Online-Enzyklopädie nicht dem Wunsch der Medienaufsichtsbehörde entsprechen, droht wohl oder übel der nächsten Webseite in Russland die Blockade. Doch Wikipedia mitsamt seiner Autoren steht geschlossen hinter den Inhalten, die sich in dem Artikel befinden. Man möchte als neutrales Informationsorgan nicht zurückweichen. Um der Weltöffentlichkeit zu verdeutlichen, welcher Druck von russischen Behörden ausgeht, hat man das Schreiben von der „Roskomnadsor“ kurzerhand veröffentlicht. Obendrein hat die Online-Enzyklopädie von einem Ausschluss aus dem russischen Internet gewarnt. Schließlich würde dies eine letzte unabhängige Informationsquelle Russlands von der Außenwelt abschotten.
Statt Kleinbei zu geben, wollen sich die sogenannten „Wikipedianer“ selbst auf juristischem Wege wehren. Da man die Aussichten aber gelinde gesagt als bescheiden bezeichnen muss, kümmern sich die Zuständigen der Webseite bereits um Ersatz für die russischen User. Damit diese weiterhin ausgewogene Informationen beziehen können, wolle man ein paar kleine Tipps verraten, wie ein Zugang auch bei Blockade möglich ist. Fraglich ist wie die Online-Enzyklopädie dies in die Tat umsetzen möchte. Die naheliegende Lösung über ein Virtual Private Network (VPN) scheint zumindest nicht so einfach zu werden. Schließlich geht Russland derzeit auch verstärkt gegen diese Lösung für mehr Anonymität und Freiheit im Internet vor.
Wikipedia hat es nicht leicht in Russland
Der Gegner ist für die Online-Enzyklopädie übrigens kein neuer. Schließlich musste man sich bereits im Jahr 2015 mit den Behörden Russlands auseinandersetzen. Damals stand der Vorwurf im Raum, dass Wikipedia auf der Webseite jugendgefährdende Inhalte präsentieren würde. Natürlich handelte es sich dabei um Artikel, die nicht der politischen Vorstellung des russischen Machtapparates entsprachen. Hierbei wurde bereits klar, dass es bei Wikipedia getreu dem Motto „ganz oder gar nicht“ abläuft. So konnte man die betreffenden Artikel nicht einzeln sperren. Dies wird durch die besondere Verschlüsselung der Online-Enzyklopädie vermieden. Eine Löschung der gesamten Wikipedia wäre unausweichlich gewesen. Allerdings kam die Auseinandersetzung zwischen Staat und Webseite zum Stillstand. Wie nun bekannt wurde, versuchte Wladimir Putin stattdessen, eine Alternative für den informativen Internetauftritt in Auftrag zu geben. Obwohl dieser Versuch jede Menge Geld fraß, war er offensichtlich nicht erfolgreich. Dementsprechend sah man sich gezwungen, Wikipedia online zu belassen. Bis jetzt.
Internationaler Beistand für die russischen Betreiber
Derweil kommen weltweit und vor allem aus Deutschland unterstützende Worte zu den russischen Betreibern der Wikipedia. So heißt es beispielsweise vom geschäftsführenden Vorstand der Wikimedia Deutschland, Christian Humborg:
„Die Informationsfreiheit ist in großer Gefahr, wenn der Zugang zu Fakten und Wissen unterdrückt wird“
Wir hoffen, dass mit Wikipedia nicht ein weiteres unabhängiges Organ aus dem russischen Internet verschwindet. Ansonsten ist die Versorgung mithilfe unabhängiger Medien bedroht.