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Verstoßen Hacks von Enchrochats gegen das Rechtsstaatsprinzip?

Die Entschlüsselung des Messengerdienstes „Enchrochat“ war ein Durchbruch für Ermittlungsbehörden in Europa. Doch ergibt sich aus der Nutzung der Chat-Protokolle ein unfairer Vorteil auf Seiten der Strafverfolger? Dieser Meinung sind nun zunehmend Strafverteidiger. Sie untermauern damit ihre Ansicht, dass das Hacken von Enchrochats gegen das Rechtsstaatsprinzip verstößt.

Strafverteidiger haben „massive rechtsstaatliche Bedenken“

Die Kritik stammt von einem Zusammenschluss von Strafverteidigern aus ganz Europa. Herzstück ihres offenen Briefes, den sie am Freitag letzter Woche veröffentlichten, ist die Diskrepanz aus Enchrochat-Hacks und dem Rechtsstaatsprinzip. Dabei erhalten sie Rückendeckung von der Organisation „Fair Trial“ (fairer Prozess). Ihre Furcht betrifft aber nicht nur den Erhalt der Rechtsstaatlichkeit, sondern geht noch weiter. Sie gehen nämlich von „ernsthaften Risiken für die Grundrechte und den Rechtsstaat“ aus.

Der Erfolg spricht für sich

Aus Sicht der Ermittler ist die Entschlüsselung von Enchrochat ein echter Durchbruch. Dies machen bereits die Statistiken deutlich. So konnten Strafverfolger europaweit allein in den vergangenen Monaten hunderte Verdächtige auf Grundlage der gesammelten Daten festnehmen. Dies gilt natürlich auch für Deutschland. Das Bundeskriminalamt (BKA) hat angegeben, dass man gegenwärtig knapp 2700 aktive Ermittlungsverfahren am laufen hat. Diese haben allesamt Nutzer sogenannter „Enchrochat-Handys“ im Fokus. Handys mit dem verschlüsselten Kommunikationsdienst werden vor allem von Verbrechern im Bereich der Drogen- und Waffenkriminalität genutzt.

Initiative vor allem von Seite französischer Ermittlungsbehörden

Interesse an der Nutzung von Enchrochat-Daten hatten insbesondere die polizeilichen Behörden Frankreichs. Die Strafverfolger unseres Nachbarn konnten aus den Datenbanken des Messengerdienstes jede Menge wertvolle Informationen herunterladen. Diese reichten die Behörden dann direkt weiter an Europas namhafteste Polizeibehörde – Europol. Nach einer umfangreichen Auswertung reichte die für ganz Europa zuständige Strafverfolgungsbehörde die Daten an die betroffenen EU-Staaten weiter. Das Vorgehen der Franzosen ist bis heute noch unbekannt. Begründet wird die Geheimhaltung vor allem mit dem Schutz der inneren Sicherheit. Dies ist nachvollziehbar, da sich die französischen Behörden ansonsten in die Karten gucken lassen würden.

Nationale Sicherheit als Vorwand?

Wie eingangs erwähnt, bemängeln die Strafverteidiger die seitens des Rechtsstaats gewährte Fairness bei Verfahren. Sie sagen, dass die Ermittlungsbehörden die nationale Sicherheit als Ass im Ärmel gezückt haben, um die teils gravierenden Verstöße gegen das Rechtsstaatsprinzip zu verschleiern. Äußerst problematisch ist dabei, dass sich die Ermittler nicht in ihren „Instrumentenkasten“ schauen lassen. Wie die Chatdaten gesammelt wurden, wird aus Gründen der nationalen Sicherheit geheim gehalten. Das sorge laut der Strafverteidiger dafür, dass es nicht möglich sei

„die Richtigkeit, Authentizität, Zuverlässigkeit und sogar die Rechtmäßigkeit der gegen sie verwendeten Beweise zu überprüfen“.

Verletzung von Zuständigkeiten?

Insbesondere im Bereich der Waffen- und Drogenkriminalität sind die Drahtzieher immer besser vernetzt. Sie arbeiten schon längst über die Grenzen ihrer jeweiligen Länder hinaus miteinander zusammen. Gerade hier sieht der Zusammenschluss von Strafverteidigern ein weiteres Problem. Schließlich verletzt das Vorgehen der französischen Polizei in vielen Fällen die Souveränität einiger EU-Mitglieder.

„Es ist davon auszugehen, dass die französische Gendarmerie mit dem Hack eine extraterritoriale Zuständigkeit ausübte, die die Souveränität der einzelnen Mitgliedstaaten verletzte“

Mehrere Gerichtsurteile fragwürdig

Ein großes Fragezeichen ist noch immer, inwiefern das BKA bei der Auswertung der gesammelten Daten aus dem Enchrochat beteiligt war. Hierbei gäbe es zwischen Verteidigern und Beamten des Bundeskriminalamtes regelmäßig Auseinandersetzungen vor Gericht. Erst jüngst gab ein Beamter des BKA vor dem LG Bonn zu Protokoll, dass man zwar über die Entschlüsselung der Franzosen im März 2020 bescheid gewusst hätte, über Fortschritte des Verfahrens aber nicht auf dem laufenden gehalten wurde. Als man im darauffolgenden Monat die gesammelten Daten erhielt, soll unklar gewesen sein, wie die französischen Behörden an diese gelangten.

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Das wirkt angesichts der Tatsache, dass seitens der Niederlande noch im März 2020 ein Einverständnis aller Strafverfolgungsbehörden der jeweiligen EU-Mitglieder eingeholt wurden, doch sehr verwirrend. Der am LG Bonn befragte Beamte bestätigte dies auf Nachfrage der Strafverteidiger. Es sind gerade solche widersprüchlichen Aussagen, die für Unmut auf Seiten der Verteidiger sorgen. Dies ist ein weiterer Beweis dafür, dass viele Gerichtsurteile in den letzten Monaten auf Grundlage von Daten gefällt wurden, welche durch fragwürdige Umstände gesammelt wurden. Wir sind gespannt wie sich die Problematik um Enchrochats weiterentwickelt und ob der Zusammenschluss von Strafverteidigern mit seinem offenen Brief etwas erreichen wird.

Jens Scharfenberg

Gaming und Technik waren stets meine Leidenschaft. Dies hat sich bis heute nicht geändert. Als passionierter "Konsolero" und kleiner "Technik-Geek" begleiten mich diese Themen tagtäglich.

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