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Geld für Iris-Scan? Kryptowährung Worldcoin hat große Ziele

Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens wird in Zeiten des entfesselten Kapitalismus, der die Schere zwischen Armen und Reichen immer weiter aufgehen lässt und Ungleichheitsstrukturen zementiert, immer stärker diskutiert. Gleichzeitig schießen Finanz-Start-ups, die mit vorgeblich innovativen Lösungen das schnelle Geld oder aber eine bessere Welt suchen, wie Pilze aus dem Boden. Das Konzept von Worldcoin passt in mehrfacher Hinsicht in diese Zeit: Es will Geld verteilen und so die Welt verbessern und setzt doch von Grund auf auf Herrschaftsstrukturen.

Einmal in den Orb schauen?

Die vom Unternehmen kommunizierte Idee ist relativ simpel: Jede Person soll die Möglichkeit haben, sich einen Anteil an der Kryptowährung zu sichern. Eine Gegenleistung ist nicht erforderlich. Worldcoin fordert jedoch einen Irisscan, der angeblich nötig ist, um auszuschließen, dass eine Person sich mehrfach das Willkommensgeld sichert. Hierfür lässt das Unternehmen in Erlangen sog. Orbs produzieren. Dabei handelt es sich um silbern glänzende Kugeln, in die hineingeblickt werden muss. Dabei wird eine Aufnahme der Iris erstellt, aus der das Gerät einen Hashwert errechnet, der wiederum in einer Datenbank gespeichert wird. Sollte eine Person nun noch einmal versuchen, an das Willkommensgeld zu kommen, wird das Gerät aufgrund der unveränderten Iris den gleichen Hashwert berechnen – und die Auszahlung verweigern, da dieser bereits in der Datenbank enthalten ist.

Neben dem grundsätzlichen Problem des Zugriffs auf biometrische Daten besteht ein weiteres: Während die Orbs bereits produziert und eingesetzt werden, steht die Kryptowährung noch nicht. Eigenen Angaben zufolge hat Worldcoin bereits mehr als 400.000 Augenpaare gescannt; ein Gegenwert in Worldcoin konnte bisher jedoch nicht ausgezahlt werden. Hinzu kommen Berichte darüber, dass freie Mitarbeitende des Unternehmens im Gegenzug für den Scan auch Bargeld, T-Shirts oder Bitcoins verteilt haben – was den kommunizierten Zweck des Irisscans fraglich erscheinen lässt. Davon, dass der Worldcoin mit eigener Wallet auf Plattformen wie Coinbase handelbar wird, wo sich heute etwa Bitcoin kaufen oder Ethereum verkaufen lassen, ist das Unternehmen allem Anschein nach noch recht weit entfernt.

Privacy by Design?

Das Unternehmen selbst hingegen betont die Datenschutzfreundlichkeit seines Vorgehens. Auf der Website des Unternehmens wird etwa beschrieben, dass die Irisaufnahme umgehend wieder gelöscht und lediglich der Hashwert gespeichert wird. Ferner soll keine Möglichkeit bestehen, von diesem auf die jeweilige Iris zu schließen. Kleingedruckt korrigiert das Unternehmen diese Beschreibung jedoch: Während der Testphase werden die Irisaufnahmen sehr wohl länger gespeichert und ausgewertet. Das soll der Betrugsprävention dienen. Verbunden wird die Erläuterung mit dem zentralen Narrativ der Weltverbesserung: „Ohne diese Daten wären wir nicht in der Lage, so vielen Menschen wie möglich auf der Erde einen fairen und inklusiven Anteil an Worldcoin zu geben. Aber wir können es nicht erwarten, mit dem Sammeln der Daten aufzuhören, und wir möchten klarstellen, dass es niemals unser Geschäft sein wird, Ihre persönlichen Daten zu verkaufen“.

Auch die Fachöffentlichkeit scheint von den Beteuerungen des Unternehmens nicht überzeugt zu sein. So meldete sich etwa Edward Snowden bei der Vorstellung des Konzepts via Twitter zu Wort: „Es sieht so aus, als würde eine globale (Hash-)Datenbank mit Irisscans angelegt (aus ‚Fairness‘-Gründen), und die Bedenken werden mit dem Kommentar ‚Wir löschen die Scans!‘ zur Seite geschoben. Aber ihr speichert die *Hashes*, die mit den Scans produziert werden. Hashes, die mit *künftigen* Scans übereinstimmen. Sammelt keine Augäpfel“. Sam Altman, einer der Worldcoin-Gründer, tat die Einwände als unbegründet ab: Er habe nicht daran gedacht, „welches schlechte Bauchgefühl es bei Leuten auslöst, wenn man biometrische Daten zur Identifikation nutzt“. Inhaltlich konterte er die Kritik hingegen nicht.

Auch andere Kritik wies Altman in der Vergangenheit vor allem emotional zurück. Auf den Vorwurf, ein egalitär ausgerichtetes Projekt hielte kaum – wie geplant – zwanzig Prozent der Coins für Mitarbeitende und Investoren zurück, entgegnete er „Die meisten, die negativ darüber schreiben, bauen nie selbst etwas“. Ohne Risikokapital ließe sich kein großes Projekt bewerkstelligen – und die Kapitalgebenden wollten bezahlt werden. Tatsächlich hat Worldcoin bereits enorme Mengen an Investitionen gesammelt. Alleine im März dieses Jahres konnten rund 100 Millionen US-Dollar eingesammelt werden. Bewertet wird das Unternehmen derzeit mit einer Milliarde US-Dollar.

Problematisch erscheint ferner das Versprechen des Unternehmens, Worldcoin im Gegenwert von mindestens zwanzig US-Dollar auszahlen zu wollen: Da die Kryptowährung bisher nicht gestartet ist, kann der tatsächliche Wechselkurs der versprochenen Anteile heute kaum realistisch eingeschätzt werden – ebenso wenig wie der weitere Verlauf des gesamten Vorhabens. Vereinzelte Berichte von freien Mitarbeitenden, die mit möglichen Kurssteigerungen von 500 Prozent geworben haben sollen, sind damit ebenfalls als wenig fundiert zu bezeichnen.

In Deutschland noch nicht gestartet

Obwohl das Unternehmen zumindest teilweise aus Deutschland heraus operiert, besteht hierzulande bisher keine Möglichkeit, sich einem Irisscan zu unterziehen, um Geld zu erhalten. Bisher sind freie Mitarbeitende von Worldcoin ausschließlich in Chile, Kenia, Indonesien, im Sudan sowie in Frankreich unterwegs. Zurückzuführen sein dürfte das auch auf die jeweiligen Datenschutzregelungen. Ob der Worldcoin jemals auch hier an den Start gehen wird, ist bisher nicht bekannt. Zuletzt hatte das Unternehmen sich aus mehreren Ländern zurückgezogen, was sowohl auf logistische Schwierigkeiten als auch auf die Unvereinbarkeit der Unternehmenspraxis mit den jeweiligen Datenschutzbestimmungen zurückgeführt werden kann.

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