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Werden Webseiten immer ähnlicher?

Warum sehen alle Webseiten gleich aus? Diese Frage, über die die irische Webdesignerin Mary Collins in einem Blogpost bereits 2016 geschrieben hat und die auch Boris Müller, Professor für Interaction Design an der Fachhochschule Potsdam seinen Studenten 2018 in einem Artikel stellte, hat das wissenschaftliche Magazin The Conversation nun anhand einer umfangreichen Data-Mining-Studie untersucht.

Die Wissenschaftler analysierten dazu anhand von 200.000 Screenshots das Aussehen von 10.000 Webseiten. Betrachtet wurden in der Studie die Webseiten der 1.000 US-Unternehmen mit der höchsten Marktkapitalisierung, die laut dem Alexa-Ranking am meisten besuchten Webseiten sowie alle Portale, die bereits für den internationalen Webby Awards nominiert waren.

Mit dieser ehrgeizigen Studie hat das Forschungsteam endlich Klarheit geschaffen, wo bis jetzt Bauchgefühl herrschte. Gerade im Online-Bereich ist es wichtig, datengestützt und faktenorientiert zu arbeiten. Dabei beginnen wir gerade erst, das volle Potenzial von Technologien wie Data Mining und künstlicher Intelligenz zu verstehen. Ich hoffe daher in Zukunft auf mehr solcher Studien, die Antworten auf die Grundsatzfragen des Internets liefern. Alfons Rittler, Creative Director von Rittler & Co
, einer Digital- und Werbeagentur, die unter anderem für das Webdesign von SK Sturm Graz verantwortlich ist, kommentiert den Forschungsansatz.

Künstliche Intelligenz klassifiziert Unterschiede im Webdesign

Um das Design der Webseiten anhand objektiver Kriterien vergleichen zu können, nutzen die Studienautoren Merkmale wie die Farben und das Layout. Anschließend ermittelten sie, wie stark die Struktur und das Farbschema einer Webseite angepasst werden muss, um das Design der Ursprungswebseite in das Design einer anderen Webseite umzuwandeln.

Mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) konnten die Wissenschaftler außerdem die Daten der gesammelten Bilder klassifizieren, um anschließend mit einem Modell für maschinelles Lernen automatisch bestimmen zu können, zu welcher Webseite diese gehören.

Unterschiede nehmen seit 2010 ab

Es konnte anhand aller Metriken, dazu gehören in der Studie neben der Farbe und dem Layout auch die Daten der KI-Klassifizierung, so bestimmt werden, dass sich Webseiten im Zeitraum von 2008 bis 2010 am deutlichsten voneinander unterschieden haben.

In den vergangenen Jahren hat sich in den Bereichen User Experience und Accessibility viel getan. In meiner Agentur gestalten wir seit mehr als 15 Jahren Webseiten und wissen daher, wie man Inhalte für das menschliche Gehirn gut und schnell erfassbar macht. Doch der Erinnerungswert und die Einzigartigkeit des Designs dürfen dabei nie auf der Strecke bleiben. Alfons Rittler, Creative Director von Rittler & Co

Im Zeitraum von 2010 bis 2016 begann laut den Studienergebnissen dann ein Trend, der dazu führte, dass die Unterschiede signifikant geringer wurden. Besonders deutlich wird dies beim Layout der Webseiten, dessen Unterschiede innerhalb von sechs Jahren um 30 Prozent gesunken sind.

Die Studienergebnisse liefern auf die Frage „Werden Webseiten immer ähnlicher?“ somit eine eindeutige Antwort und bestätigen die von Experten wie Professor Boris Müller und Creative Director Alfons Rittler schon vor einigen Jahren geäußerte These.

Software-Bibliotheken verantwortlich

Auch die Frage „Warum sehen alle Webseiten gleich aus?“ wurde durch die Studienautoren untersucht. Im ersten Schritt untersuchten sie dazu Ähnlichkeiten im Code. Der Jaccard-Koeffizient ist von 0,022 im Jahr 2003 aber schon 2006 auf etwa 0,010 gesunken und bleibt seitdem auf diesem niedrigen Niveau. Die steigenden Ähnlichkeiten im Webdesign sind also nicht drauf zurückzuführen, dass große Teile von Webseiten kopiert und in anderen Projekten erneut verwendet werden.

Als Hauptgrund nennt das Team Sam Goree von der Indiana University hingegen die stärkere Verbreitung von Software-Bibliotheken, deren generischer Code von Entwicklern und Webdesignern zur Erledigung von Standardaufgaben in Projekte eingebunden wird.

Gerade jetzt ist es wichtiger denn je, aus dem Einheitsbrei hervorzustechen. Eine erfolgreiche Webseite kommuniziert den individuellen Charakter des Unternehmens. Doch Vorsicht: Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Die große Kunst guten Webdesigns besteht darin, eine Balance zwischen frischer Formensprache und etablierten Gestaltungsregeln zu finden. Alfons Rittler, Creative Director von Rittler & Co

Es handelt sich dabei unter anderem um Code, der bei responsive Webseiten die Größe automatisch an die Auflösung mobiler Geräte anpasst oder sogenannte Hamburger-Menüs, die Webdesigner nicht bei jeder Nutzung neu programmieren, sondern stattdessen aus einer Library abrufen.

Positive Entwicklung?

Eine abschließende Bewertung dieser Entwicklung fällt auch Goree und seinen Co-Autoren nicht leicht. Einerseits sorgt die zunehmende Nutzung von Software-Bibliotheken dafür, dass Standards im Internet, die es zum Beispiel sehbehinderten Menschen Webseiten zu nutzen, häufiger eingehalten werden, andererseits verliert das Internet dadurch einen Teil seiner Einzigartigkeit. Abschließend kommen die Studienautoren jedoch zu dem Schluss, dass die Konsolidierung der Webtechnologie nicht nur aus ästhetischer Sicht Grund zur Sorge ist.

Allgemein muss festgehalten werden: Durch Software-Bibliotheken bleibt die Kreativität auf der Strecke. Diese Entwicklung ist besorgniserregend. Unlängst war das Thema Netzneutralität in aller Munde. Auch Designvielfalt ist ein wichtiger Teil eines freien Internets. Alfons Rittler, Creative Director von Rittler & Co

Auch die Mozilla Foundation sieht die zunehmende Vereinheitlichung in ihrem Statusbericht zur Internetgesundheit kritisch. Sie argumentiert dabei damit, dass nicht nur technische Standards, sondern auch das Design und die Ästhetik wichtige Faktoren sind, an der das Medium Internet bewertet werden sollte. Außerdem befürchtet die Foundation, dass die Nutzung von Software-Bibliotheken großen Konzernen eine Quasi-Monopolstellung geben kann und dass diese dadurch eine zu große Macht über das Aussehen von Webseiten erhalten.

 

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