Forschende des Think-Tanks Royal United Service Institute haben in russischen Waffensystemen zahlreiche aus dem Westen stammende Komponenten entdeckt. Das dürfte zu politischen Verwerfungen führen – schließlich sind strenge Sanktionen gegenüber Russland in Kraft, die verhindern sollen, dass derartige Bauteile in das Land gelangen.
Chips führen die Liste an
Ganz oben auf der Liste der westlichen Bauteile in russischer Waffentechnik stehen Chips, die etwa von Texas Instruments, AMD, Infineon und Intel stammen. Die Nutzung dieser für zahlreiche Systeme zentralen Bauteile sollte eigentlich durch spezielle Ausfuhrverbote verhindert werden. Unter den gefundenen Bauteilen stammen auch einige aus Deutschland. Neben Chips von Infineon finden sich etwa Bauteile von EPCOS oder dem Modellbauunternehmen Aero Naut. Das Beispiel letztgenannter Firma zeigt dabei die Probleme auf, vor denen die EU bei der Regulierung von Ausfuhren steht: Aero Naut stellt Bausätze für Modellflugzeuge her, deren Bestandteile nun in russischen Kampfdrohnen gefunden wurden. Gedacht sind sie seitens Aero Naut für einen solchen Einsatz keineswegs.
Die EU möchte derartigen Problemen mit ihrer Dual-Use-Verordnung begegnen. Hier ist der Umgang mit Produkten geregelt, die sowohl militärisch als auch nicht-militärisch genutzt werden können. Diese Verordnung sieht Russland explizit als reguliertes Zielland vor. Ausfuhren von Dual-Use-Technik nach Russland können also nicht ohne Hindernisse erfolgen. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass die Ausfuhr verunmöglicht wird. Werden Produkte von Tochterunternehmen im EU-Ausland produziert, greift die Verordnung etwa nicht. Hinzu kommt der Umstand, dass Käufer aus Drittstaaten die erworbenen Produkte unkontrolliert nach Russland weiterverkaufen können. Auf dieses Problem weist auch Infineon gegenüber heise.de hin: Es sei „schwierig, nachfolgende Verkäufe über die gesamte Lebensdauer eines Produkts zu kontrollieren“.
Infineon sieht keine Vergehen
Infineon ist dabei in besonderem Maße aufgefallen: Seit Ende Februar gingen beinahe 3.000 Lieferungen, die mit dem Unternehmen in Verbindung stehen, nach Russland. Teilweise soll es sich dabei um Lieferungen handeln, die bereits vor Kriegsbeginn auf dem Weg waren; teilweise soll Infineon jedoch auch nach Kriegs- und Sanktionsbeginn weitergeliefert haben. Medienberichten zufolge stellt das Unternehmen derzeit interne Ermittlungen an. Nichtsdestotrotz sieht Infineon keine grundlegenden Mängel in der eigenen Vertriebspraxis: Das Unternehmen habe „alle uns zur Verfügung stehenden Maßnahmen ergriffen, um die Einhaltung der Sanktionen zu gewährleisten – nicht nur dem Wortlaut, sondern auch dem Sinn nach. Dies führte für uns von Anfang an zu einem Lieferstopp und damit zu einer Übererfüllung der Sanktionen“.
TDK Technologies, das Unternehmen, zu dem EPCOS gehört, gibt an, bisher keine Kenntnis vom Einsatz eigener Produkte in Waffentechnik gehabt zu haben. Das Unternehmen verwies diesbezüglich darauf, nicht nur die Lieferungen nach Russland eingestellt zu haben, sondern die Verwendung eigener Produkte zu militärischen Zwecken prinzipiell vertraglich auszuschließen. Es sei jedoch möglich, dass nicht-autorisierte Distributoren diese Regelungen umgingen, worauf TDK Technologies keinen Einfluss habe.
Abschnitt des Nachschubs gefordert
Die Forschenden des Royal United Service Institute wiesen darauf hin, dass Russlands militärische Macht zentral von Lieferungen aus dem Vereinigten Königreich, den Niederlande, Deutschland, der Schweiz, Frankreich, Taiwan, Südkorea und Japan abhängig sei. Als zentrale Frage, die sich aus ihrem Bericht ergibt, sehen sie nach der Kappung dieser Lieferketten – und die danach, inwieweit Russland in der Lage sein wird, eine solche Kappung zu kompensieren. Die russische Halbleiterindustrie selbst dürfte dazu nicht leistungsfähig genug sein.
Auch der digitalpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag, Maik Außendorf, weist in diese Richtung: „Die Funde westlicher Technologie in russischen Waffensystemen zeigen eindrücklich, dass die russischen Waffenschmieden auf westliche Bauteile und Elektronik maßgeblich angewiesen sind“. Außendorf stellte ferner klar, dass er die konsequente Anwendung der Sanktionen, eine Beseitigung von Schlupflöchern und eine Verfolgung von Vorwürfen der Umgehung für wichtig halte. In diesem Zusammenhang machte er ferner darauf aufmerksam, den Zugang Russlands zu derartiger Technologie nicht bereits nach der Invasion der Krim entschlossen eingeschränkt zu haben, sei ein Fehler gewesen.