Die Zahl der sog. Kontenabrufverfahren, im Rahmen derer der Staat unbemerkt Einblick in die Bankkonten von Privatpersonen nimmt, steigt rapide an: Im Jahr 2021 griff der deutsche Staat in 1,14 Millionen Fällen auf private Konten zu. Die Frage der Verhältnismäßigkeit des Einsatzes des Instruments ist offen.
Beinahe Vervierfachung seit 2015
Bekannt ist, dass die Nutzung der Konteneinsicht vor allem seit 2015 stark angestiegen ist. Die meisten Abrufe erfolgen dabei durch Sozialbehörden, Finanzämter und Gerichtsvollzieher. Im vergangenen Jahr erfolgten 85 Prozent der Abfragen im Rahmen von Vollstreckungsverfahren. 146.344 Abrufe wurden von Finanzämtern veranlasst, während Polizei- und Verfassungsschutzbehörden insgesamt rund 1.000-mal auf private Konten zugriffen. Bekannt wurden diese Zahlen durch die Anfrage der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. In der Antwort wies die Bundesregierung ferner darauf hin, dass die Millionengrenze bei den Abfragen erstmals 2020 überschritten wurde. Im Jahr 2019 hatte die Gesamtzahl der Kontenabrufverfahren noch bei 915.257 gelegen.
Keine Transparenz hinsichtlich Effektivität
Hinsichtlich der Effektivität des Instruments besteht dabei keine Transparenz: Die Bundesregierung gab in der Antwort auf die Anfrage an, keine Erkenntnisse darüber zu haben, zu welchen Erfolgen der Einsatz der Kontenabrufverfahren führte. Zurückgeführt werden kann das vor allem auf das Fehlen einer zentralen Auswertungsstelle. So werden die Abrufe zwar zentral durch das Bundeszentralamt für Steuern durchgeführt. Dieses jedoch gibt die Ergebnisse der Abrufe anschließend an die anfragende Behörde weiter, die die Daten daraufhin verarbeitet und nicht mehr rückmeldet, inwieweit sie für ihren Zweck nützlich waren.
Der starke Anstieg der Abrufe in den letzten Jahren dürfte unterdessen auch mit einer deutlichen Erweiterung der legitimierten Stellen zusammenhängen. So beschloss die damalige rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2015, auch Gerichtsvollziehern das Recht auf einen Kontenabruf zuzugestehen. Mittlerweile können die Daten dabei schon ab ausstehenden Zahlungssummen von 500 Euro abgerufen werden.
1,14 Millionen Grundrechtseingriffe
Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber kritisierte bereits in der Vergangenheit die massive Ausweitung des Einsatzes von Kontenabrufverfahren. Er weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass jeder Abruf einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bedeutet – und damit gut begründet sein muss. Er bezweifelt vor diesem Hintergrund, dass der Einsatz zweckmäßig ist und fordert die amtierende Bundesregierung zu einer Evaluation auf. Vor dem Hintergrund der Datenschutzbemühungen, die die Bundesregierung etwa im Bereich des KI-Einsatzes an den Tag legt, erstaunt die Entwicklung in diesem ebenfalls sehr datenschutzsensiblen Bereich.